Sustainable Finance – Informationen für Aufsichtsräte

Die nächste disruptive Veränderung nach der Corona-Pandemie findet bereits statt.

Der EU-Aktionsplan für Nachhaltigkeit, abgekürzt „Sustainable Finance“, mit der Taxonomie für nachhaltiges Wirtschaften als zentralem Element und der EU-Green Deal werden die Europäische Wirtschaft erheblich verändern. Und das wird schneller geschehen, als vielen bewusst ist. Denn nicht nur Finanzinstitute und große Unternehmen, sondern auch der Mittelstand wird von diesen Entwicklungen wesentlich betroffen sein.

Die EU-Kommission und auch Kanzlerin Merkel haben im letzten Jahr keinen Zweifel daran gelassen, dass die Pandemie den Zeitplan der EU nicht beeinflussen wird, sondern sogar als Bestätigung für die Notwendigkeit gesehen wird, die Nachhaltigkeit unserer Volkswirtschaften zu stärken.

Entwicklung globale Nachhaltigkeit und Klimaschutz

Eine neue Qualität bekamen die jahrzehntealten Bestrebungen zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz durch die UN-Agenda 2030, die von der UN-Vollversammlung im September 2015 angenommen wurde. Im Mittelpunkt stehen die umfassenden 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, zu deren Umsetzung sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben.

Viele Unternehmen haben die Nachhaltigkeitsziele bereits in ihre Unternehmensberichterstattung aufgenommen. Ein Beispiel finden Sie hier!

Der nächste entscheidende Schritt war die Pariser Klimakonferenz von Dezember 2015, auf der sich im Gegensatz zum Kyoto-Protokoll von 1997 alle Staaten zu Klimaschutzzielen und Maßnahmen zu deren Erreichung verpflichtet haben. Dadurch soll die Erderwärmung auf unter 2 Grad begrenzt werden (Link).

Nunmehr verpflichtet ein völkerrechtlicher Vertrag die UN-Mitglieder zur Entwicklung nationaler Klimaschutzziele, die nach jeweils fünf Jahren in verschärfter Form erneut vorzulegen sind. Neben den europäischen Staaten hat auch die EU den Vertrag ratifiziert.

EU-Aktionsplan für Nachhaltigkeit und Green Deal

Als Folge der Pariser Klimakonferenz beschließt die EU-Kommission den Aktionsplan 2018 für Nachhaltigkeit, abgekürzt ´Sustainable Finance-Strategie`. Drei Ziele zur Erreichung von Nachhaltigkeit werden mit zehn Maßnahmen unterlegt, von denen die wichtigste die Schaffung eines Klassifizierungssystem zur Bestimmung von nachhaltigem Wirtschaften ist. Dadurch soll mehr Kapital in nachhaltige Investitionen fließen. Dieses System wurde im Juni 2020 mit Wirkung zum 1.1.2022 als Taxonomie-Verordnung verabschiedet (s.u.) und wird für die Wirtschaft große Bedeutung erlangen.

Der im Dezember 2019 vorgestellte EU Green Deal kündigt eine weitere Verschärfung der Klimaziele an. Der Europäische Rat hat am 13.12.2020 die Reduzierung der CO2-Emissionen um 55% statt 40% bis 2030 ggü. 1990 verabschiedet. Der holistische Anspruch des Green Deal wird aus der hier verlinkten Grafik deutlich.

Fokus Taxonomie – was gilt als nachhaltig?

Mit der Taxonomie-Verordnung liegt eine verpflichtende allgemeingültige Definition von nachhaltigen wirtschaftliche Tätigkeiten vor. Ökologische Nachhaltigkeit im Sinne der Regelung ist gegeben, wenn die folgenden vier Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Wesentlicher Beitrag zur Erreichung eines der folgenden EU-Umweltziele:
  • Klimaschutz
  • Anpassung an den Klimawandel
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser und Meeresressourcen
  • Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft
  • Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung
  • Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen
  • Keine erhebliche Verletzung eines anderen EU-Umweltzieles (DNSH-Test)
  • Erfüllung der Mindestanforderungen zu Governance, Menschenrechten, Arbeitnehmerschutz
  • Übereinstimmung mit den Technical Screening Criteria der EU-Kommission

Die technischen Kriterien werden von der Kommission in sog. delegierten Rechtsakten festlegt. Diese beziehen sich jeweils auf konkrete wirtschaftliche Tätigkeit gem. VO 1893/2006 (NACE-Systematik) und ein bestimmtes Umweltziel. In der Regel werden qualitative und quantitative Kriterien sowie Schwellenwerte vorgegeben. Sie sind für die betroffenen Unternehmen von hoher Relevanz. Für 51 der 66 Wirtschaftsaktivitäten sind CO2-Grenzwerte formuliert, das Ambitionsniveau ist anspruchsvoll.

Ende Oktober 2020 wurde der Entwurf des delegierten Rechtsaktes für die ersten beiden Umweltziele veröffentlicht, anschließend lief eine Abstimmungsphase, so dass mit einer Veröffentlichung der endgültigen Regeln im Verlauf des 1. Quartals 2021 zu rechnen ist. Ab 1.1.2022 wird die Verordnung dann für die ersten beiden Ziele verbindlich, ein Jahr später für die vier folgenden Ziele.

Die Verordnung richtet sich ausdrücklich nur an bestimmte Finanzmarktteilnehmer und Unternehmen, die gem. der CSR-Richtlinie eine nichtfinanzielle Erklärung abgeben müssen. Warum potentiell die gesamte Wirtschaft von der Nachhaltigkeits-Klassifizierung betroffen ist, wird im folgenden Abschnitt beleuchtet.

Warum die Taxonomie die gesamte Wirtschaft erfasst

Mit einem doppelten Kunstgriff erreicht die EU Kommission diese Wirkung. Durch die Verpflichtung der Finanzinstitute, den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition zu ermitteln, wird de facto mittelfristig auf die gesamte Wirtschaft zugegriffen. Zusätzlich wirkt für große Unternehmen, soweit sie zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind, die direkte Einbeziehung in die Taxonomie-Verordnung. D.h. zum einen, soweit Finanzprodukte als ökologisch vermarktet werden, müssen Finanzunternehmen zukünftig Transparenz herstellen, inwieweit das Produkt den Taxonomie-Anforderungen entspricht.

Zum anderen werden große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter und € 40 Mio. Umsatz oder € 20 Mio. Bilanzsumme und von ‚öffentlichem Interesse‘, also im Wesentlichen Kapitalgesellschaften über Art. 8 der Taxonomie-Verordnung verpflichtet, den Anteil der Umsatzerlöse, Investitions- und Betriebsausgaben, die als ökologisch nachhaltig gem. Art. 3 und Art. 9 einzustufen sind, zu berichten. Sowohl für Banken als auch für große Unternehmen gilt, dass sie dieser Verpflichtung praktisch nur nachkommen werden können, wenn sie Transparenz über den Umfang des nachhaltigen Wirtschaftens in ihrem Kundenportfolio (Banken) oder ihrer Lieferkette (Unternehmen) erhalten.

Kleine Unternehmen, die mit diesen Gruppen in Geschäftsbeziehung stehen, werden sich mit entsprechenden Fragen oder Einschätzungen auseinandersetzen müssen. Auskunftsfähigkeit zum Umfang des eigenen nachhaltigen Handelns ist daher zwingend. Anderenfalls droht der Verlust von Umsätzen und die Verteuerung oder der Wegfall von Fremdkapital. Wichtig wird also das Ermitteln und Dokumentieren der Emissionen des Unternehmens und die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie. Walmart, USA, knüpft seine Lieferantenfinanzierung an Nachhaltigkeitsnachweise.
Aktuell wird auf EU-Ebene die Einrichtung eines öffentliche ESG-Datenraumes erörtert.

Strategische Fragestellungen und Handlungsempfehlungen

Haben Sie sich schon mit den folgenden Fragen beschäftigt?

  • Werden unsere Wirtschaftsaktivitäten von der Taxonomie erfasst?
  • Was bedeuten Nachhaltigkeitsthemen für unser Geschäftsmodell?
  • Wie können wir die gesellschaftlichen Auswirkungen unserer wirtschaftlichen Aktivitäten messen, dokumentieren und berichten?
  • Welche Daten erwarten Banken und Kunden von unserem Unternehmen?
  • Werden bereits Zertifizierungserfahrungen verwendet, auf die zurückgegriffen werden kann? Viele Unternehmen sind nach ISO 9001 (Qualitätsmanagement) zertifiziert und kennen daher den entsprechenden Prozess und Dokumentationsaufwand. Infrage kommen Zertifizierungen nach ISO 14001 (geprüftes Umweltmanagement), dem EU-Öko-Audit EMAS oder ggf. ein bereits erfolgtes ESG-Rating. Interessant ist auch der Leitfaden ISO 26000.
  • Wie implementieren wir erfolgreich Nachhaltigkeitsaspekte in unser Unternehmensstrategie?
  • Haben wir bereits diese konkreten Maßnahmen in Betracht gezogen: Energieeffizienz steigern, Ausbau der Versorgung mit regenerativen Energien, Defossilieren, CO2 als Ressource nutzen?
  • Müssen wir unser Geschäftsmodell anpassen?
  • Überprüfung der Notwendigkeit von M&A-Maßnahmen und Preisstrategien ?

Handlungsempfehlungen:

  • Analyse des Geschäftsmodells im Hinblick auf die Taxonomie-Anforderungen
  • Aufbau einer Datenbank
  • Feststellung des aktuellen Co2-Fussabdruckes
  • Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie
  • Umweltzertifizierung des Geschäftsbetriebes
  • Identifizierung potentieller stranded assets als Folge der EU-Klimagesetzgebung
  • Erweitern Sie den Prüfungsumfang Ihrer Aufsichtsratstätigkeit vorsorglich auf die o. g. Aspekte, auch wenn Sie nicht zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung nach §§289b, 315b HGB verpflichtet sind.
  • Rechnen Sie mit einer Fortsetzung und Intensivierung der Nachhaltigkeitsdiskussion. Der Markt antizipiert eine Anpassung des europäischen Emissionshandels. Das Europäische Klimagesetz wird weitere Herausforderungen bieten.

Nutzen Sie staatliche Förder- und Zusagenprogramme für den notwendigen Umbau von Geschäftsaktivitäten, um die finanziellen Folgen abzumildern.

In Frage kommen beispielsweise ZIM (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand), KfW-Forschungszulagengesetz, KfW-Umweltinnovations- und KfW-Energieeffizienzprogramm sowie das KfW-Programm Klimaschutzoffensive für den Mittelstand. Setzen Sie dabei auf externe Spezialisten mit hoher Erfolgsquote anstatt eigene knappe Ressourcen zu blockieren.

Last not least: nutzen Sie die Potentiale, die die Nachhaltigkeitsinitiativen bieten:

  • Der Green Deal bietet die Unterstützung der Industrie bei Innovationen und bei der Übernahme einer weltweiten Führungsrolle bei einer grünen Wirtschaft
  • 37% des Corona-Wiederaufbaufonds als Teil des EU-Wirtschaftsplans sollen in Green Deal-Transaktionen fließen. Hier entsteht Wachstumspotential
  • Das geplante Klimaprogramm der US-Regierung von Präsident Binden bringt neue Herausforderungen, bietet aber auch viele Chancen, so S. Russwurm, Präsident des BDI

Ausblick und Fazit

Unterschätzen Sie nicht die weitere Dynamik der Nachhaltigkeitsentwicklung. Die Europäische Kommission überprüft z. Z. die Sustainable Finance-Strategie. Es wäre nicht überraschend, wenn die o.g. Verpflichtungen weiter ausgedehnt werden und auch kleinere Unternehmen z.B. ab 250 Mitarbeiter mit einbezogen würden. Rechnen Sie mit einer Anpassung des nationalen CO2-Preissystems. Denn mit einer Lenkungswirkung wird erst ab € 50/t CO2 gerechnet wird. Aktuell liegt der gesetzliche Preis bei € 25/t. EU Co2-Emissionszertifikate (EUA Futures) notieren demgegenüber bei
€ 35/t, ein Anstieg auf € 80/t bis 2025 ist vorstellbar.
Norwegen plant bis 2030 einen CO2-Preis von € 195/t. Und die USA verfolgt unter Präsident Biden das Ziel, die Energieerzeugung bis 2035 CO2-frei zu gestalten und bis 2050 landesweit klimaneutral zu sein. Das geht einher mit substantiellen Budgets.

Sustainable Finance zielt auf die Finanzindustrie und große Unternehmen, trifft aber mittelbar den Mittelstand. Ohne Anpassungen des Geschäftsmodells sind Kundenbeziehungen und Fremdkapitalzugang bedroht. Bleiben Sie aufgeschlossen und gehen Sie unvoreingenommen mit den Veränderungen um. Emotionen („das sind alles Öko-Träumer“) verstellen den Blick auf die Realitäten und schlimmer, die Chancen, die sich aus diesen Veränderungen ergeben.

Die Zukunft soll man nicht voraussehen, sondern möglich machen wollen“

Antoine de Saint-Exupéry

 

Dieser Artikel wurde verfasst von FEA-Mitglied Dr. Detlev Gröne – München Januar 2021

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